Hallo Birgit,
zunächst: Ich kann nicht im Namen der DGfM schreiben, wohl aber im Namen der BMG. Nichtsdestotrotz kann ich versuchen, etwas Klarheit zu schaffen.
Gnerell: Man muss - wie hier schon geschrieben wurde - zwischen einer Pilzberatung mit dem Ziel, die erkannten Arten zum Verzehr freizugeben und der Hilfe nach einem Verzehr unterscheiden. Bei dem ersten Fall muss ich als Pilzberater 100% sicher sein, dass die Bestimmung richtig ist.
Bei einem Vergiftungs- oder Verzehrfall kann man oft nicht sicher bestimmen, da entweder der Pilz zu schlecht erhalten ist, man nicht das ausreichende Fachwissen hat, um einen angelutschten Pilz zu bestimmen. Ich kann beispielsweise ja auch ganze Kollektionen von Pilzen oft gar nicht bestimmen. In der Pilzberatung sage ich "kenne ich nicht". Hier aber soll ich etwas sagen.
Weiterhin: Ich kann und darf nicht Entwarnung gben, da nie klar ist, was noch alles verspeist wurde. Insofern kann ich gar nicht fahrlässig handeln, auch nicht grob fahrlässig, wenn es nur um die Bestimmung geht. Der Arzt muss immer (!) nach Symptomatik gehen. Wäre ich hier haftbar, würde ich gar keinen Krankenhausfall betreuen wollen.
Nehmen wir an, ich bekomme den Pilz, ich mikroskopiere sogar und irre mich im Urteil. War es fahrlässig, dann überhaupt eine Bestimmung versucht zu haben?
Kann es fahrlässig sein, wenn ich z. B. an einem Foto sicher eine Psathyrella erkenne, nur weil es ohne Mikroskop geschah und nur optisch? Nein, Fahrlässigkeit sehe ich da nicht, ich bin aber kein Jurist. Würde ich jetzt aber empfehlen, jede weitere Behandlung abzubrechen, da ja nichts passieren könne, dann wäre das fahrlässig. Und da spielt es keine Rolle, wie ich den Pilz bestimmt habe.
Zur Versicherung:
Die Versiechrung der BMG regelt das über eine erweiterte Vereinshaftpflichtversicherung. Im Vertrag steht nirgends, dass Bestimmung nach Foto ausgeschlossen sei. Es wurde der Versichrung vorgelegt, welche Handlungen die Tätigkeit als Pilzberater umfassen und das wurde mit hinein genommen. Die Pilzsahcverständigen der BMG wiederum müssen mikroskopieren können und sich auch in der "Krankenhausmikroskopie" ausbilden lassen. Aber auch da steht nirgends im Versicherungsvertrag, was sie alles exakt dürfen, was nicht. Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt oder nicht, kann nur ein Gericht klären.
Die DGfM betreffend obliegt es dem aktuellen Vorstand, Auskünfte zu erteilen.
Unabhängig davon: Wo liegt das Problem? Selbst wenn ein Pilz mit aller Mühe per Mikroskop bstimmt wurde, heißt das nicht, dass nicht weitere verspeist wurden. Und bei einem können wir uns sicher sein: Ich (und viele andere) können anhand eines Fotos einen Raukopf von einem Wiesenchampgnon unterscheiden. Genauso einen Grünen Knolli von einem Steinpilz. (Provokant ausgedrückt). Und sehe ich einen merkmalsarmen weißen Lamellenpilz auf dem Foto, dann geht es per Foto nicht. Aber dann kann ich trotzdem schonmal für diesen einen Pilz Orellanin ausschließen. Und auch das ist ein Information. Und was soll dann ein PSV tun, der nicht mikroskopieren kann? Mehr als sagen, dass es ein weißer Lamellenpilz ist, kann er auch nicht. Und ist es ein Trichterling mit Muscarin, dann merkt man das an den Symptomen sofort.
Jede Pilzbestimmung im Vergiftungsfall (und Verzehrfall) ist nur ein Versuch, einzugrenzen, was passieren könnte. Im Grunde müsste man das gar nicht tun, da wie gesagt die Ärzte nach Symptomatik gehen müssen. Und bei Kleinkindern (und darum geht es) müsste man sonst jede Beratung ablehnen, weil die Kleinen nicht erklären können, dass sie wirklich nur diesen Pilz gegessen haben.
Nimm den Fall, dass ein Erwachsner nur einen großen Fruchtkörper fand und den gegessen hat und das auch aussagt. Dann wird bezüglich der Bestimmung viel mehr Verantwortung auf den Schultern des PSV liegen. Gibt er dann "Entwarnung", weil der Pilz harmlos sei und irrt sich - und der Arzt hört mit einer Therapie auf - dann kann es kritisch werden. Insbesondere, wenn es per Foto passierte und das Urteil etwas wackelig wäre. Bei einer Entwarnung muss man wie beid er Pilzberatung 100% sicher sein.
Noch ein letztes Beispiel:
Verein für Pilzkunde München, Abschlussfeier der Pilzausstellung. Anruf wegen Vergiftung einer älteren Dame, aber alle PSV sind im Restaurant und nicht zuhause am Mikroskop. Lösung: Foto per Handy schicken. Und siehe da, ein Tigerritterling, mit Guttationstropfen! Ergo: Bstimmungsergebnis kam sofort retour per Handy, die Symptomatik passte auch dazu und gut war. Hätte die Dame noch eine andere Pilzart verzehrt (Mischvergiftung), wäre das auch bei einem Eiltransport des Ritterlings mit Polizei und Pipapo nicht herausgekommen, da man nur begutachten kann, was man vorliegen hat.
Ich wiederhole: ich halte es für unverzichtbar, auf jede Informationsquelle zurückzugreifen. Auf Fotos als Vorabinformation zu verzichten kann ich nicht nachvollziehen. Im Gegenteil, ich würde mich furchtbar fühlen, wenn ich z. B. einen Grünen Knolli schon am Foto hätte erkennen können und dem Arzt wirklich hätte helfen können, dies aber aus Prinzip nicht machen würde. Was wäre ich dann?
Die Einschätzung, wann eine Bestimmung wie sicher ist, kann nur der PSV treffen, nicht die Versicherung. Es gibt PSV, sage ich mal so, die können problemlos manche Pilze makroskopisch sicher bestimmen, die andere PSV nicht einmal kennen. Manche PSV können nicht mikroskopieren, andere schon. Und wer mikroskopiert... hm, der eine hat jahrelange Erfahrung, der andere macht das erst seit Kurzem. Ist es dann fahrlässig, trotzdem das Mikroskop zu verwenden, statt das abzulehnen? Wir wissen ja alle, dass der Pilzname nicht in den Sporen eingraviert ist.
Glaubt bitte nicht, dass eine Bestimmung sicher sei, nur weil man den Pilz in der Hand hatte oder mikroskopiert. Jeder macht Fehler. In der Pilzberatung darf man daher nur die Pilz freigeben, die man wirklich 100% kennt. Im Krankenhaus bekommt man irgendwelche Pilze, die man eben dann nicht sicher bestimmen kann. Ein Riesenunterschied.
Zusammenfassung: Nicht die Methodik der Bestimmung ist ausschlaggebend (beim krankenhausfall, da dann ja schon gegessen wurde), sondern nur, wie sicher man sich als Experte fühlt. Bestimme ich den Tigerritterling per Fto und bin mir wirklich sicher, dann ist diese Info an den Arzt sicherer und belastbarer, als wenn ich einen mir völlig unbekannten Pilz mikrokopieren muss, um ihn zu bstimmen und dann zu einem Ergebnis komme, bei dem ich mir nicht so ganz sicher bin, das dann aber einfach nur weitergebe. Die Methodik hilft dem Patienten nicht, die Sicherheit des Ergebnisses ist es. Also die Selbsteinschötzung des PSV. Und wer sich extrem übrschätzt, der handelt fahrlässig, da er eigentlich wissen sollte, dass Pilzbestimmung nicht so einfach ist. Aber doch nicht derjenige, der einen Tigerritterling am Foto erkennt. Und vermutlich können manche Münchner PSV, die den "Tiger" ständig in der Hand haben, ihn besser am Foto erkennen, als manch anderer PSV, der - weil im Sauren lebend - noch nie einen real gesehen hat (der Tiger ist sehr variabel, kann auch ohne Schuppen am Hut sein usw.).
Und wenn man sich mal irrt, kein Problem, da es, wie ja schon oben mehrfach erklärt eigentlich für die Behandlung relativ unwichtig ist (weil ja nie sicher ist, was noch alles verzehrt würde). Einziger worst case: man bestimmt etwas tödlich giftiges und der Patient muss eine Therapie über sich ergehen lassen, die nicht nötig war. In dem Fall stirbt er nicht davon und die Folgen sind sehr überschaubar. Kann z. B. bei Lepiota passieren, wenn man meint, es sei eine amanitinhaltige Art gewesen. Problematisch? Wohl kaum!
LG
Christoph