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Der Ursprung befindet sich im Thema „Geschlossene Gruppe zum Umgang mit Stichproben / Messreihen“.
Servus Jens,
auch auf die Gefahr, dass eine Reaktion auf deine diesmal fast resigniert wirkenden Aussagen, ein Fehler ist, möchte ich versuchen, noch einmal zu erklären, warum ich anders denke, was das gesamte Thema betrifft. Das ist ja wertneutral.
QuoteIch fühle mich nur leider als Einzelkämpfer. Das ist ja noch nicht mal schlimm. Nur gibt es von keiner Seite mehr Input. Und ich habe ein wenig das Gefühl, dass sich keiner traut, öffentlich Stellung zu beziehen. Oder es ist allen egal.
Die Frage ist, warum von keiner Seite Input kommt. Ich kann das natürlich nur für mich beantworten - und hatte das in früheren Reaktionen schon versucht.
QuoteWieso sind denn alle bei den Pilzmessreihen so unwissenschaftlich? Ich versteh es nicht.
Meine Meinung:
Sporenmaße sind ein Kriterium unter vielen Kriterien, die ich betrachte, will ich einen Pilz beschreiben oder bestimmen. Wie du selbst zugegeben hast, reicht für eine Bestimmung bei stark unterschiedlichen Bereichen (z. B. 3-4 µm Länge vs. 10-18 µm Länge) das Messen weniger Sporen und für die Unterscheidung der Arten reicht ein Blick ohne Statistik. Hier wäre zum Bestimmen die genaue Auswertung unnötig.
Sobald die Sporenmaße zu ähnlich sind, suche ich nach anderen Trennmöglichkeiten. Ich gehe - wie bei vielemn biologischen Systemen - von einer recht großen Schwankungsbreite aus. Junge Fruchtkörper ergeben andere Sporenmaße als alte Fruchtkörper (nicht vergleichbare Kollektionen). Neulich hat Miatthias Dondl eine Flammulina untersucht, bei der unterschiedliche Abwürfe unterschiedliche Sporenformen ergaben (neuer Abwurf auf Papier vs. älterer von der Huthaut eines darunter befindlichen Pilzes). Da wird es eh schwierig... Was bringt es dann, dass Smaff für das selbe Individuum zwei unterschiedliche Konfidenzintervalle ausspuckt?
Das alles negiert natürlich nicht das Berechnen von Konfidenzintervallen an sich, zumal sie keine wirkliche Arbeit machen.
Ich persönlich sehe darin aber die Gefahr, dass man durch die statistische Auswertung wirklich glaubt, dass, würde man vom selben Fruchtkörper nochmal die Sporen ausmessen - andere Stelle des Abwurfs - wieder 95% der Sporen innerhalb des gleichen Konfidenzintervalls finden wird. Das wäre erstmal zu prüfen... Oder: wenn man vom gleichen Fruchtkörper ein paar Tage später nochmal einen Abwurf macht - gleiche Maße? Das geht in vivo im Gelände. Nuss hat das bei Porlingen gemacht - du wirst überrascht sein, wie da die Maße teils schwankten, bis sie sich dann eingependelt haben (später waren die Sporen anders als bei den ersten Abwürfen - auch in der Form).
Ich persönlich erachte den Wert der Schwankungsbreiten als überbewertet. Ich verwende gerne (immer) den Mittelwert der Kollektion(en), die ich in Publikationen vorstelle. Und auch da gehe ich von einer recht großen Schwankungsbreite aus. Und klar, da beißt sich die Katze in den Schwanz - was bringt ein Mittelwert einer Kollektion? Ist mir klar...
Ich verstehe zudem nicht, warum andere Maße wie Hutdurchmesser, Stiellänge (usw.) dann nicht genauso angegeben werden sollten (gut, die Anzahl der Stichproben ist da geringer, aber man kann ja viele Kollektionen heranziehen) - da bist du in deiner Kritik völlig einverstanden? Wie unterscheiden sich die einen Maße (Sporen) von den anderen Maßen (Stiellänge)?
QuoteEs ist wissenschaftlicher usus.
Das ist halt die Frage. In Bezug auf Einzelmesswerte ist eine Fehlerabschätzung essentiell, da sind wir uns ja einig. Bei stark schwankenden, immer mit Ausnahmen belegten biologischen Systemen ist es aber schwieriger, eine aussagefähige Auswertung herzuzaubern als bei physikalischen Systemen. Daher ist es eben nicht wirklich Usus, Konfidenzintervalle anzugeben. Es war mal ein bisserl Mode (oder ist es noch) in nordischen Ländern. Betrachte ich aber Papers weltweit, ist es die Ausnahme - weil eben die Sporenmaße allein nicht als so wichtig erachtet werden. Es ist halt eine Zusatzinformation, nicht mehr und nicht weniger. Oft sind Aussagen über das Hyphensystem, die Basidienform oder was auch immer wichtiger.
Beispiel:
Du willst die Körpergröße der Spezies Mensch angeben. Du misst 30 Personene aus (denn mehr ist "Blödsinn?). Das machst du in Deutschland - o.k. Dann wertest du das aus, gibst Konfidenzintervalle an und meinst, dass das dann für die Spezies Mensch stimmt? Ich fahre nach Sizilien, messe dort 30 Menschen aus und erhalte eine andere Verteilung.
Ich fahre nach Ruanda und stelle fest, dass das drei unterschiedliche Teilpopulationen vorhanden sind (Tutsi, im Schnitt groß gewachsen, Hutu, im Schnitt kleiner und Pygmäen, sehr klein).
Nein, um die Spezies Mensch im allgemeinen zu erfassen, braucht man zig Stichproben in allen möglichen Regionen - und kann dann irgendwann feststellen, wie groß Menschen sind. Oder man gibt die bekannten Extremwerte an: 0,95 m - 2,72 m (ich meine, dass das ungefähr hinkommt). Beides sind Ausreißer, aber beide Ausreißer waren lebendige Menschen. Insofern kann ein (erwachsener!) Mensch auch nur knapp 1 Meter groß sein oder fast 3 Meter Länge erreichen.
Die Frage, die sich mir da stellt, ist, was die Angabe eines Konfidenzintervalls bei der Größe des Menschen an Mehrinformation bringt. Wenn ich einen Menschen immer erkennen will, reichen mit 95% als Grenzen nicht aus.
Ob du das jetzt nachvollziehen kannst, weiß ich nicht. Ich bin sehr pragmatisch: bringt mir die Angabe einen echten Mehrwert? Oder suggeriert sie eine Genauigkeit, die bei physikalischen Systemen gegeben ist, bei denen aber das Leben nicht mitspielt? Von letzterem gehe ich aus. Und deshalb gebe ich aus Prinzip nur ungefähre Schwankungsbreiten an, obwohl ich durchaus in der Lage bin, die für dich notwendige statistische Auswertung anzuwenden.
Zudem interessiere ich mich für die Biologie der Arten. Heterosporie finde ich spannend - und sie kommt eben häufiger vor als gedacht - denk nur an Crassibasidien bei Amanita oder an Sklerobasidien bei Armillaria - oder wie schon mehrfach dir gegenüber erwähnt die unterschiedliche Mischung von 1-, 2-, 3- und 4-sporigen Basidien (was auch ein Merkmal sien kann).
Und was machst du bei Pfifferlingen, die von 2- bis 6-sporigen Basidien alles haben (eventuell auch 8-sporige, aber ich kenne sie nur bis 6-sporig). Ich hatte mal eine Kollektion, die durchgehend 6-sporige Basidien hatte. Die wurde, weils ie so hübsch von oben aussieht, von Prof. Wanner (München) mit einem REM fotografiert und diente als Kalenderblatt. Warum sollte ein 6-sporiger Pfifferling die gleiche Verteilung wie ein 4-sporiger haben?
Mir gefällt auch nicht, rechtsschiefe Verteilungen einfach zwangszuglätten, wo gerade die Rechtsschiefe ein echtes Merkmal sein kann (anders ausgedrückt: wieviel Prozent der Basidien sind 4- wieviel Prozent 2-sporig).
Jetzt schaue ich mir sehr viele unterschiedlichen Pilze an - von Corticioiden über Porlinge, über Agaricales bis hin zu diversen Ascomyzeten und imperfekten Pilzen. Bei manchen kann man keine Unterscheidung anhand der Sporen treffen. Was dann? Und manche bilden keine oder kaum Sporen - was dann? Sporen sind ein(!) Merkmalsbereich unter vielen.
QuoteDieses Sackgassendenken und Festhalten an antiquierten Standards in der Mykologie ist aus meiner Sicht schon lange nicht mehr zielführend
Und hier sehe ich (immer noch) das Hauptproblem. Alle, die deinem Weg nicht folgen (selbst dann, wenn sie begründen, warum), sind antiquiert und haben dieses Sackgassendenken...? Und dann fragst du dich, warum praktisch niemand auf deine Beiträge reagiert?
QuoteHier wird dauernd ein status quo verteidigt, der seit Erfindung des Taschenrechners schon überholt war. Genau das ist aus meiner Sicht einer der lähmenden Effekte. Warum geht es nicht mal weiter?
Ich selber betreibe Mykologie, nicht Sporenmaßauswertung, als Fachgebiet. Dazu gehört viel mehr als nur der Versuch, bei stark genäherten Verteilungen Unterschiede herausrechnen zu wollen. Denn dann, wenn die von dir eingeforderte Genauigkeit wichtig wäre, suche ich lieber nach anderen Merkmalsbereichen, die die Unterscheidung von Arten ermöglichen. Und warum? Siehe oben: weil ich die Variabilität innerhalb einer Art als größer als anhand von wenigen Fruchtkörpern als Ausgangsbasis ansehe.
Es wäre eher lähmend, wenn ich hier versuchen würde, bei geringen Unterschieden das dann doch anhand der Sporenmaße zu unterscheiden. Dann nehme ich lieber eine Sequenz oder die Rhizomorphen oder weitere Merkmale her.
QuoteWie will man denn mal irgendwo Förderungen oder ... beantragen, wenn hier mit Daten umgegangen wird, wie in der Sendung mit der Maus..
Und wäre nicht immer dieser polemische Beigeschmack in den Postings... So machst du letzten Endes alle, die nicht genau deiner dir genehmen Methodik folgen, zu naiven Deppen. Ich frage mich ehrliche gesagt, warum. Und durch eine saubere Sporenstatistik bekommt man schon lange keine Fördergelder mehr. Da müssen die Projekte schon andere Inhalte haben. Aber das wäre ein anderes Thema.
Liebe Grüße,
Christoph