Flockenhexe mit Artefakt oder was anderes?

  • Liebe Röhrlingsfreundinnen und -freunde,

    in unserer geschlossenen Facebook-Gruppe "Pilze und Schwammerln" hat Anna Wander einen interessanten Hexenröhrling gezeigt, der vom typischen Flockenstieligen Hexenröhrling (Neoboletus erythropus/luridiformis) etwas abweicht, weil er im unteren Stielbereich eine erhabene, netzartige Struktur aufweist.

    Deshalb schwebt der Netzstielige Hexenröhrling (Suillellus luridus) in der Diskussion immer im Raum. Zwar scheint der aufgeschnittene Frk. keinen roten Röhrenboden zu zeigen, aber eine Netzhexe soll auch mal ohne Färbung vorkommen, habe ich mir sagen lassen.

    Ich habe dann noch den Kurznetzigen Hexenröhrling (S. mendax) ins Feld geführt, aber nicht mehr in Erinnerung gehabt, dass die Netzzeichnung genau anders herum sein müsste: oben netzig und unten flockig, in Ausnahmefällen auch komplett netzig. Zudem sollen oft Rottöne in der Hutfarbe vorkommen, was auf dem Bildmaterial nicht zu sehen ist.

    Kurzum: Handelt es sich bei dem Fund um eine Flockenhexe, wie ich vermute?

    Gruß, Andreas

  • Hallo, Andreas!

    Aus meiner Sicht ebenfalls ein Flocki.
    Wie auch immer das netzartige Rippenmuster am Stiel zustande kommt, das kann passieren. Ob durch äußere Einflüsse, oder einfach eine Laune der Natur, es kommt gelegentlich vor. Selten so intensiv wie hier.
    Die Suillellus - Arten kann man meiner Ansicht nach ausschließen, angesichts des Schnittbildes. Auch wäre bei einer Netzhexe (und bei mendax, falls da noch jemand hinaus will), das Netz auch an der Stielspitze ausgebildet, dort als Abdruck der Poren im Wachstum.
    In letzter Zeit wurde taxonomisch ein ziemliches Chaos fabriziert, man hat bisweilen das Gefühl, im Kindergarten gelandet zu sein ("Ich sag aber Bibiothek!"), durch verunglückte Neotypifizierungen und allerhand weiteren Schabernack. "Boletus erythropus Pers." ist jetzt Suillellus queletii (Wenn sich der gute Persoon da mal nicht im Grabe umdreht!), unser europäischer Flocki muss theoretisch aktuell "Neoboletus praestigiator" heißen.
    Klingt komisch, ist es auch. ;)


    LG, Pablo.

  • Hi,

    bin auch beim Flocki. :)

    Trotz allem bin ich der Meinung, dass wir nicht jeden Mist mitmachen müssen. Ich halte mich bei den aktuellen Artnamen an Mykis, wo der Flocki zuim Glück Neoboleus erythropus heißt. Das ist für mich als Kartierer erstmal die ausschlaggebende Instanz. Was derzeit Vizzini et al. so betreiben geht mir langsam gegen die Hutschnur. Christoph hatte ja unlängst das Chaos bei den Gyroporussen so schön auseinander genommen. *verständnislos kopfschüttel*

    l.g.
    Stefan

    Auf der Suche nach dem heiligen (Pilz)Gral ;)

  • Hallo Matthias,

    der Test mit Melzers oder Baral oder ä. war mir neu. Dadurch, dass ich nicht in sozialen Netzwerken unterwegs bin, besitze ich diese und würde mich freuen, wenn du mir die Testergebnisse der verschiedenen (wie auch immer sie jetzt auch heißen) Hexen mitteilen magst.
    Ich saß nämlich mal vor einem ähnlichen Problem.

    LG, Jens

    OT: (Rage against... / Killing in the name)

  • Hallo Jens,
    der Flocki ist nicht amyloid im Gegensatz zu den Glattstieligen und Netzhexen was man leicht am frischen Fleisch testen kann. Ich glaube in sozialen geht es auch eher um den Speisewert.
    Habe heute früh bei mir die ersten Sommersteinpilze gefunden, es geht langsam los.
    viele Grüsse
    Matthias

  • Hallo Jens,
    zum Speisewert bei Beratungen halte ich mich wie auch die Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg an dem schlechtesten in der Literratur zu finden ist, neue Vergiftungen nimmt man natürlich an und verlässt dich nicht mehr auf Bücher,
    viele Grüsse
    Matthias

  • Hallo Matthias,

    merci für die Info über Jod± zur Hexenunterscheidung! Das wusste ich bisher noch nicht.
    Wie sieht es denn bei mendax aus? Weisst Du darüber auch was?

    Viele Grüße – Rika


    Hallo Rika,
    mendax ist auch positiv laut Beschreibung der Autoren, war ja lange Jahre mit unter B. luridus geführt.
    Aus dem Stehgreif fallen mir drei Hexen mit negativer Reaktion ein:
    -der normale Flocki Boletus erythropus
    -die gelbe oder farbarme Varietät Boletus junquilleus
    -der Böhmerwaldröhrling Boletus gabretae
    viele Grüße
    Matthias

  • Hallo Stefan & Matthias,

    habt herzlichen Dank für die erschöpfende Auskunft! Die jodpositiven bzw. -negativen Arten habe ich mir nun notiert – und dabei die verwirrenden Gattungsnamen weggelassen – manchmal haben die deutschen Namen doch Vorteile ;-).

    Gute Nacht – Rika

  • Hallo Rika,

    manchmal schon, aber wenn man weiß, dass nur die Suilellus-Arten die positive Jod-Reaktion aufweisen (Gattungsmerkmal), dann aber schon wieder nicht mehr. Die Aufspaltung der ehemaligen Gattung Boletus macht dann auffgrund der Merkmale in jedem Fall Sinn.

    l.g.
    Stefan

    Auf der Suche nach dem heiligen (Pilz)Gral ;)

  • Hallo Pablo,

    durch verunglückte Neotypifizierungen und allerhand weiteren Schabernack. "Boletus erythropus Pers." ist jetzt Suillellus queletii (Wenn sich der gute Persoon da mal nicht im Grabe umdreht!), unser europäischer Flocki muss theoretisch aktuell "Neoboletus praestigiator" heißen.
    Klingt komisch, ist es auch. ;)

    dass Persoon mit seinem Boletus erythropus den Glattstieligen Hexenröhrling gemeint hat ist aber ein Fakt und zudem ein alter Hut. Die Frage ist nur, ob man die althergebrachte Nomenklatur nicht besser durch eine Konservierung des Namens erythropus im Sinne von Fries und allen folgenden Autoren (= Flockenstieliger H.) erreicht, und was dann für den Glattstieligen bedeutet er muss den namen queletii tragen. Oder ob man den Nomenklaturregeln "blind" folgt und den ältest gültigen Namen verwendet - was im Falle des Flockis dann eben entweder Boletus luridiformis Rostkovius ist, oder Boletus praestigiator R. Schulz wenn man luridiformis nicht als eindeutig anerkennt und deshalb verwirft.

    Übrigens ist der Gattungsname Neoboletus Gelardi et al. 2014 ein Synonym von Sutorius Halling et al. 2012. Somit müsste unser Flocki dann folglich Sutorius luridiformis oder Sutorius praestigiator heißen - oder meiner Meinung nach als Verfechter der Konservierung des Namens erythropus im gebräuchlichen Sinne dann eben Sutorius erythropus ...

    Ich bin auch kein Freund der vielen neuen Röhrlings-Gattungen, vor allem nicht bei den Gelbporern. Aber dass die Rotporer unter den Dickröhrlingen keine einheitliche Gruppe sind, und zumindest der Flockenstielige nicht mit den netzigen (bzw. glattstieligen) congenerisch ist, das ist auch schon seit Jahrzehnten bekannt.

    beste Grüße,
    Andreas

  • Servus Andreas

    dass Persoon mit seinem Boletus erythropus den Glattstieligen Hexenröhrling gemeint hat ist aber ein Fakt und zudem ein alter Hut.

    nein, Fakt ist das nicht. Fakt wäre es, wenn ein eindeutiger Typusbeleg gefunden würde und anhand dessen klar wäre, was Persoon meinte.
    Persoon hat vermutlich (es war ja niemand von uns dabei, Zeitmaschinen gibt es nicht) beide Arten subsummiert. Worauf man sich bezieht, um in Boletus erythorpus Pers. den Glattstieligen Hexenröhrling zu interpretieren, ist die Erwähnung des roten Fleischs in der Stielbasis.
    Dem steht die Beschreibung der Stieloberfläche gegenüber, die beispielsweise ich eher als für den "Flocki" typisch ansehe.
    Es gibt auch "Flockis" mir rotem Fleisch in der Stielbasis, wenn auch nicht häufig.

    Bei der Interpretation einer alten Beschreibung von "Fakt" zu sprechen, halte ich für sachlich falsch.

    Jetzt kann man sich auf den Neotypus von Simonini, Gelardi & Vizzini beziehen - leider ist hier selbst die Belegnummer, die die ITS-Sequenz in der Genebank angeben soll, falsch (bzw. unter der Nummer findet sich keine Sequenz). Man kann diese Interpretation natürlich auf den Protolog beziehen (da geht es auch um die Porenfarbe).
    Insofenr ist Fakt, was Simonini et al. unter Boletus erythropus verstehen. Was aber Persoon meinte, müsste man ihn fragen.

    Die Nomenklatur soll ja eigentlich dazu dienen, dass einerseits die Zuordnung von Namen zu Taxa klar geregelt ist (z.B. one fungus, one name), zudem aber auch, diese stabil zu halten. Das wurde u.a. durch die automatische Sanktionierung der Fries'schen Namen nach dem Vorverlegen des Startpunktes erreicht. Jetzt haben wir im Moment nur eine Art "Gesetzeslücke", da diese ja nur in den von Fries verwendeten Gattungen greift. Im Prinzip müsste man das nur ausweiten, damit nicht bei jeder neu aufgestellten Gattung bei jedem Fries'schen Namen ein eigenes Fass aufgemacht werden muss. Beim Flockii ist es m.E. vollkommen unnötig, den üblichen Gebrauch über den Haufen zu werfen. Zumal dann der Flocki einen neuen Namen braucht (usw.), was ein weiteres Fass ist...

    Dass Simonini et al. das gar nicht diskutieren, finde ich schwach - mein Eindruck ist, dass der Neotypus schnell raus sollte - warum auch immer.

    Sutorius ist interesant - der Typus der Gattung ist Sutorius eximius. Wegen der rotbraunen Sporenpulverfarbe war das auch mal ein Tylopilus, wegen der Schuppen am Stiel auch ein Leccinum.
    Ich habe mir die Publikation von Wu et al. (2016) angesehen. Sutorius eximius bildet da einen kleinen, gut definierten Clade, wie es schon Halling et al. bei der Beschreibung der Gattung gezeigt haben. Ob aber "Boletus luridifomrmis" auch wirklich ein Sutorius ist, kann aus dem Stammbaukm nicht seriös geschlussfolgert werden. Im Gegenteil, das ganze bricht da auseinander, die Gattung Sutorius ss. Wu et al. wird durch die Bootstrapwerte nicht einmal gestützt. Es ist ein Gießkannenstammbaum.

    Ich empfehle daher nicht, blind Wu et al. zu folgen und die Gattung Sutorius auf diverse Boleten auszuweiten. Aber das ist auch nur eine Interpretation. Das schöne an der Wissenschaft ist ja, dass es bei Interpretationen keine Fakten gibt. Nur die Bootstrapfaktoren sind Fakten, bereits der abgebildete Stammbaum ist einer von vielen, der eben ausgewählt wurde (anhand einer vorher vorgegebenen Grundlage - bzw. durch die Statistiksoftware - wie die einzelnen Unterschiede gewichtet werden nimmt Einfluss auf den Stambaum).

    Für mich ist die Ausweitung von Sutorius auf Neoboletus vorschnell und nicht begründet genug. Sutorius eximius steht sehr isoliert und verdient meiner Meinung nach eine eigene, kleine Gattung.

    Liebe Grüße,
    Christoph

  • Hallo,

    ja, ich gebe zu, das Wort "Fakt" ist falsch in diesem Zusammenhang. "Allgemein anerkannt" oder vielleicht besser noch "mehrheitlich so aufgefasst" trifft es wohl besser. Da der Glattstielige ja keineswegs völlig glattstielig ist, sondern durchaus feine pünktchen haben darf, würde ich das Merkmal des roten Stielfleisches deutlich höher bewerten. Das kenne ich bei frischen erythropus nicht, nur als Folge von beginnender Zersetzung oder Viren-/Bakterienbefall oder was auch immer - nicht jedenfalls als Merkmal eines gesunden Fruchtkörpers.

    Ich stehe Sutorius auch skeptisch gegenüber, insbesondere wegen der Spp.-Farbe - leider ist die Synonymisierung bereits von IF übernommen worden. Was natürlich nicht heißt, dass es richtig ist ;)

    beste Grüße,
    Andreas

  • Servus Andreas,

    ich kenne den Flocki auch mit Blutrotem Fleisch (in der untersten Stielbasis). Hier ein Vergleichsfoto aus dem Netz: http://www.pharmanatur.com/Mycologie/Bole…%20discolor.htm

    (mal wieder einer der "discolor"-Kollektionen -aber auf dem zweiten Foto sieht man ganz unten im Stiel deutlich rotes Fleisch und der Fruchtkörper ist fit)

    Persoon legt Gewicht auf die deutlichen Schuppen am Stiel. Wie gesagt - warum soll er nicht beide Arten vermischt haben. Und für die stabile Nomenklatur ist die Interpretation von Fries hilfreich. Wenn man Persoons Beschreibung auf einen etwas aberranten Flocki beziehen kann, sollte man es m.M.n. auch tun (um nicht zu weiteren Namensänderungen zu kommen).

    Den Flocki weiter "erythropus" zu nennen, wäre das einfachste und tut niemandem weh.

    Was IF und Mycobank angeht - die dort angegebenen "current names" ignoriere ich ohnehin. Diese Datenbanken sind m.E. von unschätzbarem Wert, da sie die gesamten Namen und Quellen der Originalbeschreibungen nebst Angaben zu den Typen zusammentragen.

    Die Interpretation, welche heterotypischen Namen aber Synonym sind, sollten die Spezialisten in den Monographien bestimmen - und diejenigen, die Rückmeldung in weiteren Fachartikeln geben. Es ist nicht nachvollziehbar, warum welche Synonymie bei IF oder Mycobank wo und wann eingetragen wird (abgesehen von denen, die auf einen identsichen tyous beruhen). Leider folgen viele einfach IF und Mycobank, was Synonyme betrifft, wodurch diese Datenbanken diesbezüglich als "Instanz" gewertet werden, die sie, wie ich finde, gerade da nicht sind. ;)

    Liebe Grüße,
    Christoph

  • Hallo zusammen!

    Da ich das mit den Namen eh nicht auflösen kann, und es sicherlich auch teils eine Auslegungs - Interpretationsfrage ist, also schon auch im Ermessen des Betrachters: Interessant ist es trotzdem. So bildet ja jede Beschreibung, jedes Taxon (ob später als Synonym anerkannt oder nicht), auch wieder die Sichtweise und Interpretation eines Mykologen ab. Diese Interpretationen zu vergleichen und mit den eigenen Funden in Verbindung zu bringen, ist ja irgendwie die Herausforderung.

    Mal noch ein Bildchen zur Melzer - Reaktion, wie das positiv aussehen soll:

    Mikroskopisch ist es dagegen nicht so der Knüller. Klar, weil man ja nur die Zellwände anfärbt, und die Hyphen sind auch im Stielfleisch dünnwandig. Da sind einige Porlinge mit amyloiden dickwandigen Hyphen spektakulärer.


    LG, Pablo.

  • Hallo Stefan,

    so pauschal geht es leider nicht auch wenn es hier klappt, bei den Bitter- und Satansröhrlingen gibt es sowohl positive wie negative Reaktionen,

    viele Grüsse

    Matthias

    Hm, die sind doch aber auch bei Caloboletus (radicans) und Rubroboletus (satanas) untergebracht, oder irre ich da?

    Grüße

    Harald

    Landeskoordinator Pilzkartierung Hessen

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