Arsen in Schwarzblauenden Röhrlingen

  • Hallo an alle,


    derzeit wird in verschiedenen sozialen Medien der folgende Artikel zu Arsen im Schwarzblauenden Röhrling diskutiert:


    Simone Bräuer et al.: Arsenic hyperaccumulation and speciation in the edible ink stain bolete (Cyanoboletus pulverulentus). Food Chemistry 242: 225-231


    Mein Dank geht an Christoph Hahn, der den Artikel gefunden und in der Pilz-Szene bekannt gemacht hat.



    In der Zusammenfassung kommen die Autoren zum Ergebnis:


    "Aufgrund des krebserregenden Potentials empfehlen wir keinen Verzehr von mehr als 90 g pro Jahr".


    Solche Empfehlungen muss man nachvollziehen, um sie einordnen zu können. Deswegen habe ich mich heute mal durch einiges an Literatur zu dem Thema gewühlt, um für mich persönlich zu einer Einschätzung zu kommen.



    Folgende Fakten sind für mich relevant:


    • Arsen ist nicht gleich Arsen. Anorganisches Arsenoxid ist weitaus giftiger und krebserregender als organische Arsenverbindungen. Bei letzteren muss man zwischen ungiftigem Arsenobetain und umstrittener Dimethylarsinsäure ( DMA) unterscheiden. Säugetiere scheiden Arsen in Form von DMA über den Urin aus.
    • Cyanoboletus reichert das Arsen in Form von DMA an. Der Median lag bei 160 mg/kg Trockenmasse, was etwa 12 mg/kg im Frischpilz entspricht. Die Pilze der Studie stammen überwiegend aus Tschechien, von nicht besonders belasteten Böden.
    • DMA ist in diesen Mengen nicht akut giftig. Es ist im Tierversuch nach 2 Jahren Dauerbelastung ein schwaches Karzinogen für Ratten (Blasenkrebs), aber nicht für Mäuse. Die karzinogene Wirkung auf Menschen ist unbekannt.
    • Die Haupt-Belastung an (anorganischem) Arsen nimmt der Mensch über Getreide, besonders Reis zu sich.
    • Speise-Algen sind mit Werten bis 102 mg/kg (im Median 24 mg/kg Frischmasse) vergleichbar mit organischem Arsen belastet wie Cyanoboletus. Sie enthalten Arsenozucker, die im Körper zu DMA umgewandelt werden. Als Sonderfall gilt die Alge "Hijiki", die mit bis zu 100 mg/kg anorganischem Arsen noch viel gefährlicher belastet ist und in Hongkong nicht mehr für den Verzehr empfohlen wird.
    • Auch Muscheln, Krustentiere und Meeresfische enthalten viel organisches Arsen, aber meist in Form von Arsenobetain, das leicht vom Körper ausgeschieden werden kann und daher nicht als gefährlich gilt.
    • Trotz der hohen Arsen-Belastung aus Algen, die in Ostasien mit bis zu 20 g/Tag verzehrt werden, ist Blasenkrebs dort nicht häufiger als in Europa.


    • Krebs kennt keine festen Grenzwerte, sondern nur Wahrscheinlichkeiten. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wird die "Margin of Exposure" (MoE)- Ansatz angewendet, um zu standardisierten Grenzwert-Empfehlungen zu kommen.
      Als messbare Größe wird die Dosis ermittelt, die mit 95%iger Konfidenz bei 10% der Versuchstiere Krebs auslöst (Benchmark Dose Lower Bound 10, BMDL10). Dieser Wert wird durch einen Unsicherheitsfaktor von 10.000 geteilt, um den empfohlenen Grenzwert zu berechnen.
    • Für DMA hat die US-Umweltbehörde 2005 laut Bräuer et al. einen BMDL10 von 0,43 mg/kg Körpergewicht/Tag abgeleitet. Nach der MoE-Methode errechnet sich daraus für mich nachvollziehbar der in der Studie empfohlene Grenzwert von 90 g Schwarzblauen Röhrlingen pro Jahr für eine Person mit 70 kg Körpergewicht.


    • Den BMDL10 finde ich in der Original-Publikation der US-Behörde jedoch nicht wieder, vielmehr finde ich einen BMDL1 (1% !) von 0,07 mg/kg Körpergewicht/Tag. Hier besteht für mich Klärungsbedarf.


    Meine ganz persönlichen Schlüsse daraus (durchaus etwas provokativ):


    • Wenn man ehrlich ist, wissen wir einfach nicht genug, um das Risiko beim Verzehr von Schwarzblauen Röhrlingen abschätzen zu können. Der MoE-Unsicherheitsfaktor von 10.000 bedeutet ja konkret, dass vermutlich irgendein Wert zwischen 90 g/Jahr und 900 kg/Jahr vertretbar ist. Das würde für Pilzsammler schon einen relevanten Unterschied machen. Zudem besteht vermutlich kein linearer Zusammenhang zwischen Ursache (DMA-Konzentration) und Wirkung (insb. Blasenkrebs).
    • Aus einer statistischen Risikogröße für die Gesamtbevölkerung lässt sich nicht 1:1 eine individuelle Handlungsempfehlung ableiten. Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) empfiehlt z.B. aufgrund des Arsengehaltes, bei Kleinkindern den Verzehr von Reiswaffeln zu beschränken. Was bleibt denen denn noch zum Knabbern? Eltern von Kleinkindern werden jetzt wissen, was ich meine...
    • Der Vergleich mit Algen gibt mir Hoffnung, dass DMA in kleiner Dosis von Menschen gut vertragen wird. Wer jetzt seinen Konsum von Schwarzblauenden Röhrlingen auf 90 g/Jahr beschränkt, sollte sicherheitshalber auch seinen Sushi-Konsum auf eine ähnliche Größenordnung einschränken.
    • Wer mehr als 90 g/Jahr Schwarzblauende Röhrlinge isst, sondern z.B. 3 kg/Jahr (MoE=300), würde von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit vermutlich in der Risikogruppe von "Konsumenten mit erhöhter Arsen-Belastung" geführt, genauso wie die "Viel-Konsumenten von Reis, z.B. bestimmte ethnische Gruppen". Er würde sich damit in der guten Gesellschaft eines großen Teils der Weltbevölkerung befinden.

    Viele Grüße,


    Wolfgang

  • Hallo an alle,


    Frau Dr. Bräuer war so nett, mir den Link zur finalen Version der US-Behörden zu schicken - ich hatte eine vorläufige Version gegoogelt.

    In der finalen Version wird der BMDL10 mit 0,43 mg/kg Körpergewicht/Tag angegeben.


    Gleichzeitig hat sie mich darauf hingewiesen, dass der MoE-Faktor von 10.000 eine von der EFSA festgelegte Konstante und nicht im Einzelfall zu verhandeln oder zu vernachlässigen ist.


    Ich wollte in meinem ersten Schluss aber nicht ausdrücken "weil wir es nicht besser wissen, ist es heute egal ob wir 90 g oder 900 kg verzehren". Das wäre in der Tat eine Negierung von unbekannten Risiken, die ich so nicht gemeint habe. Die Spanne von 90 g zu 900 kg sollte nur das Maß unseres Unwissens plastisch verdeutlichen.


    Grüße,


    Wolfgang



    Lactarius: Zum Hanta-Virus fehlen uns selbst noch einige Hintergrund-Informationen. Das wird noch einige Zeit dauern.

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