Nadelwald-Anhängselröhrling besonders geschützt?

  • Hallo,

    mir geht es lediglich darum, dass hier keiner rumläuft und behauptet, subappendiculatus wäre nicht geschützt.

    Keine Sorge, das habe ich nicht vor. Es geht mir nur darum zu ergründen wie hierzu die Lage ist.


    Und offensichtlich war die Frage gar nicht so trivial und ist womöglich erstmals so detailliert beleuchtet worden. :)


    Ich habe die Diskussion gespannt verfolgt und möchte mich an dieser Stelle bei allen für die Teilnahme bedanken!


    Viele Grüße

    Thiemo



  • Hallo Wolfgang,

    Und mir geht es lediglich darum, dass hier keiner rumläuft und behauptet, subappendiculatus wäre nicht geschützt.

    das sehe ich anders als Du. Meiner Ansicht nach ist Boletus subappendiculatus nicht geschützt, weil er nicht in der BArtSchV aufgeführt ist und es dem Pilzsammler nicht zugemutet werden kann, derartige Recherchen zu betreiben um zu entscheiden, ob diese Art vielleicht doch in einer anderen enthalten ist oder nicht. Auch Ellerlinge sind schon so lange keine Saftlinge mehr, dass man daran zweifeln könnte, ob sich der Schutzstatus der BArtSchV überhaupt noch auf sie anwenden lässt. Aber die sind wenigstens in der zugrundeliegenden, explizit aufgeführten Bezugsquelle "Rote Liste 1996" als Hygrocybe aufgeführt, so dass eine Recherche einfach und zumutbar ist.


    Ich halte auch Boletus aestivalis und pinophilus für nicht geschützt, da neben edulis auch ein weiterer Steinpilz, nämlich aereus explizit in der BArtSchV steht. Also könnte man erwarten, dass die anderen Steinpilzarten auch einzeln gelistet werden, wenn man sie hätte unter Schutz stellen wollen. Hast Du da eine andere Sichtweise?


    beste Grüße,

    Andreas

  • das sehe ich anders als Du. Meiner Ansicht nach ist Boletus subappendiculatus nicht geschützt, weil er nicht in der BArtSchV aufgeführt ist und es dem Pilzsammler nicht zugemutet werden kann, derartige Recherchen zu betreiben um zu entscheiden, ob diese Art vielleicht doch in einer anderen enthalten ist oder nicht.

    Hallo Andreas,


    ich denke, hier vermischst Du zwei unterschiedliche juristische Sachverhalte:


    (1) ist die Art streng geschützt? Darauf kann es nur ein Ja oder Nein geben.

    (2) Wird ein Richter oder eine Bußgeldstelle aufgrund der Komplexität der Frage das Strafmaß reduzieren? Das wird immer vom Einzelfall abhängen.


    Fall-Beispiel:


    Ein PSV veranstaltet eine Exkursion im Südschwarzwald und erläutert ausdrücklich, dass der Nadelwald-Anhängselröhrling nicht geschützt sei. Ein Teilnehmer zieht am nächsten Tag los, wird mit 40 kg Nadelwald-Anhängselröhrlingen erwischt und mit 5000€ Bußgeld belegt. Daraufhin verklagt er den PSV auf Schadensersatz, der seinerseits die DGfM-Versicherung einschaltet.


    Hat der PSV fahrlässig falsch beraten? Ja, definitiv, denn er hätte in die DGfM-Positivliste der Speisepilze gucken können, dort steht subappendiculatus als streng geschützt. Vermutlich sogar grob fahrlässig, weil er die Positivliste kannte, aber die dortige Einstufung als "streng geschützt" bei der Beratung ignoriert hat.


    Ich halte auch Boletus aestivalis und pinophilus für nicht geschützt, da neben edulis auch ein weiterer Steinpilz, nämlich aereus explizit in der BArtSchV steht.

    In diesen Fällen teile ich Deine Einschätzung, wobei es wieder 2 unterschiedliche Sachverhalte sind:

    B. pinophilus ist in der RL 1996 explizit als Art aufgeführt, und hätte daher im Anhang der BArtSchV zweifelsohne ebenfalls aufgeführt werden müssen, um sie zu schützen.

    B. aestivalis und B. edulis sind beide nicht in der RL 1996 gelistet, so dass man wieder nur über Indizien entscheiden muss, was die Autoren vermutlich gemeint haben. Hier halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass die Autoren beide Arten kannten und beide als nicht gefährdet betrachtet haben. Als Indiz würde ich wieder den Verbreitungsatlas von 1991 nehmen, in dem beide Arten mit einer recht flächendeckenden Verbreitung gelistet sind.


    Aber nur der Vollständigkeit halber: Auch für diese Pilze, die nicht in der BArtSchV gelistet sind, gilt die "1-2 kg/Tag"-Regel. Diese sind über den allgemeinen und nicht den speziellen Artenschutz geschützt - hier gilt lediglich ein niedrigerer Bußgeldkatalog.


    Grüße,



    Wolfgang

  • Hat der PSV fahrlässig falsch beraten? Ja, definitiv, denn er hätte in die DGfM-Positivliste der Speisepilze gucken können, dort steht subappendiculatus als streng geschützt. Vermutlich sogar grob fahrlässig, weil er die Positivliste kannte, aber die dortige Einstufung als "streng geschützt" bei der Beratung ignoriert

    Hallo Wolfgang,

    es mag in der DGfM Liste so stehen, in der Bundesartenschutzverodnung finde ich den subappendiculatus nicht und da beide Arten auch genetisch klar trennbar sind hat er meiner Meinung nach keinen Schutzstatus. Was natürlich nicht heißt das man eine relativ seltene Pilzart sammeln sollte bzw. ihn bei Pilzwanderungen als Speisepilz bewerben,

    viele Grüsse

    Matthias

  • Hallo Wolfgang,


    ich sehe das wirklich nicht wie Du.


    Boletus subappendiculatus ist in der BArtSchV nicht aufgeführt. In der als Referenz angegebenen Roten Liste 1992/1996 ist die Art ebenfalls nicht aufgeführt, weder als eigenständige Art, noch bei B. appendiculatus als Synonym oder in anderer Form ("inkl. ...."). Das ist ein Fakt und damit ist die Art nicht geschützt. Meiner Meinung nach eigentlich gar nicht diskutabel.


    Ob die Art eventuell in der Roten Liste nicht aufgeführt ist, weil sie zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland nicht nachgewiesen, nicht als eigenständig anerkannt oder als nicht gefährdet angesehen wurde, das kann ich als Normalbürger nicht wissen. Und ich kann noch nicht mal wissen, dass ich vielleicht Recherchen betreiben müsste. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Gericht tatsächlich eine derartige Kaffeesatzleserei als zumutbar fordern würde. Zumal sich ja auch gar keine sichere Entscheidung ergäbe, sondern nur diskutable Indizien.


    beste Grüße,

    Andreas

  • Hallo Andreas,


    ich würde weiterhin empfehlen, zur Beurteilung einer juristischen Frage die "Juristen-Brille" aufzusetzen. Mykologische Argumente ("subappendiculatus wurde schon 1979 beschrieben") oder Stammtisch-Argumente ("Kaffeesatz-Leserei") helfen in diesem Fall nicht weiter.


    B. subappendiculatus wurde früher in der deutschen Mykologenszene verbreitet unter appendiculatus synonymisiert, und für genau diesen Fall gilt BArtSchV Anlage 1, Nr. 7: "Die Taxonomie der in den Anlagen genannten Tier- und Pflanzenarten richtet sich nach folgenden Werken:" Ich finde den Gesetzestext an dieser Stelle glasklar und unmissverständlich.


    Dass die Juristen als taxonomische Referenz bei Pilzen ausgerechnet die Rote Liste (1996/1992) genommen haben, war im besonderen Fall von subappendiculatus sicher nicht optimal, und führt zu diesen Diskussionen. Da waren bei anderen Artengruppen (Amphibien, Vögel, ...) bessere Monographien auf dem Markt, die dann auch genommen wurden.

    Hätten die Autoren der BArtSchV stattdessen als Referenzliste den Verbreitungsatlas von 1991 oder die Großpilze BaWü (2000) genommen, wäre die Lage klarer, und zwar jeweils mit dem Ergebnis, dass B. subappendiculatus zweifelsfrei (!) geschützt wäre.


    Argumente, dass ein Normalbürger das nicht wissen kann, sind juristisch gesehen für das Strafmaß relevant, aber nicht für den Schutzstatus. Gut möglich, dass ein Pilzsammler deswegen beim ersten Mal mit einer Verwarnung ohne Bußgeld davonkommt. Wäre der Pilz hingegen nicht geschützt, könnte der Pilzsammler jederzeit wieder diese Pilze sammeln.


    Ich würde auch nicht annehmen, dass ein Richter der Argumentation folgt, dass im Zweifelsfall der niedrigere Schutzstatus anzuwenden ist (ja, subappendiculatus ist ein Zweifelsfall). Im Sinne des Artenschutzes wäre im Zweifelsfall immer der höhere Schutzstatus anzuwenden, so wurde es zumindest an anderer Stelle in der BArtSchV gehandhabt, wenn es um Bastardisierung geht.


    Gruß,


    Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,


    wahrscheinlich führt es zu nichts, die Diskussion weiterzuführen. Ich verstehe auch nicht, warum meine Argumentation nicht mit dem juristischen Auge betrachtet sein soll.


    Die Praxis ist doch wie folgt:

    Sammler XY findt einen Pilz und bestimmt ihn mit einem Buch oder übers Internet als Boletus subappendiculatus. Er schaut in die BArtSchV ob diese Art geschützt ist - ist nicht aufgeführt. Immerhin liest er die Einleitung und schaut daher in die dort als taxonomische Referenz angeführte Referenzliteratur - auch dort ist die Art nicht aufgeführt. Also muss er doch davon ausgehen dass die Art nicht geschützt ist. Punkt. Nichts anderes ist juristisch relevant. Genau dazu wurde ja Referenzliteratur angegeben.


    Warum um alles in der Welt sollte er auf die Idee kommen, zu überlegen, mit wem diese Art früher vielleicht hätte synonymisiert sein können und wie damals mehrheitlich oder teilweise oder wie auch immer das von deutschen Mykologen gesehen worden sein hätte können. Warum sollte er überhaupt auf die Idee kommen, dass die Art vielleicht mit unter einer geschützten gefasst sein könnte, wenn sie weder im Gesetzeswerk noch in der angegebenen Roten Liste aufgeführt ist? Es sind ganz viele Arten weder in der BArtSchV noch in der Roten Liste aufgeführt - schlichtweg weil sie halt weder geschützt noch gefährdet sind. Ich kann nicht einsehen, warum Du der Meinung bist, bei DIESER Art müsste man sich solche komplizierten Überlegungen machen und bei anderen nicht.


    Mir geht es übrigens nicht darum, unbedingt propagieren zu wollen, dass man Nadelwald-Anhängselröhrlinge sammeln soll! Aber ich möchte natürlich genau diesen Einwänden, die in Kursen durchaus mal kommen beim Thema BArtSchV, entsprechend entgegnen können. Und bisher bin ich nicht überzeugt, sorry.


    beste Grüße,

    Andreas

  • Hi Andreas,


    ich denke nicht, dass Dein Anwendungsfall der wichtigste Grund für die BArtSchV ist, und in der Praxis wird so ein Pilzsammler eher in Kosmos: "Welcher Pilz ist das?" gucken, und ihn für einen Anhängsel-Röhrling halten (weil dort die Nadelwald-Art gar nicht enthalten ist), und lesen dass er streng geschützt sei. Oder er nimmt ihn einfach als "Steinpilz" mit, auch wenn er sich vielleicht über die gelben Röhren wundert.


    Die Verordnung ist aber auch für solche Fälle gemacht:

    Ein kommerzieller Pilzsammler hat die forst-, naturschutz-, und handelsrechlichen Genehmigungen besorgt, alle Speisepilze, die keinem speziellen Artenschutz unterliegen, zu sammeln und zu vermarkten. Dann nutzt er das Schlupfloch (wenn dieses denn eines ist?) und bietet kiloweise Nadelwald-Anhängselröhrlinge zum Verkauf an.


    Ein Förster beschließt, ein gesundes Waldstück vorsorglich von Fichte zu Douglasie umzuforsten. Ein Naturschutzverband will das per einstweiliger Verfügung stoppen, weil dort ein Massenvorkommen an Anhängselröhrlingen bekannt ist.


    Nur für so einen Fall lohnt sich vielleicht eine gerichtliche Klärung.


    Ich kann nicht einsehen, warum Du der Meinung bist, bei DIESER Art müsste man sich solche komplizierten Überlegungen machen und bei anderen nicht.

    Im Prinzip müsste man diese Überlegungen natürlich bei jeder Art machen. Glücklicherweise haben die Autoren der BArtSchV meist ganze Gattungen aufgelistet, da ist die Recherche etwas einfacher. Und viele Arten haben ja ihren Namen behalten, wie Amanita caesarea oder Gomphus clavatus. Ich bin gerade nicht im Bilde, was sich bei Lactarius tut, oder ob der Brätling (Lactarius volemus) auch ein Kandidat wäre, der "im weiteren Sinne" geschützt ist, weil sich mittlerweile mehrere Sequenzen dahinter verbergen.


    Deine implizite Annahme, dass die BArtSchV nur dann rechtliche Bindung hat, wenn sie auch praxistauglich ist, teile ich aber definitiv nicht. Das hat der Gesetzgeber schon mit pinophilus und aestivalis gründlich vergeigt und damit das Gegenteil bewiesen.


    Umgekehrt leuchtet mir folgendes nicht ein: Der Gesetzgeber schützt ein seltenes Taxon, das sich darauf als "Sammelart" erweist. Danach ist nur noch die s.str.-Art geschützt, so lange bis der Gesetzgeber seine Verordnung aktualisiert? Ab wann ist das genau? Mit dem Tag der Erstpublikation? Wenn die neuen Namen in Wikipedia übernommen wurden?

    Sorry, so funktioniert unser Rechtssystem einfach nicht. Da werden eher alle Nadelbäume und ihre Mykorrhiza-Partner in DE aussterben, bevor eine Verordnung aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse seinen Umfang einbüßt.


    Grüße,


    Wolfgang


    P.S.: meine Tochter studiert Jura, vielleicht kann sie mal ihren Prof nach seiner Ansicht fragen.

  • Hallo in die Runde,

    wer möchte einen "normalen" Speisepilzsammler Anzeigen? In Regionen mit massenvorkommen von Speisepilzen in denen für gewerbliche Zwecke gesammelt wird sind die mengen Kontrollen wichtig.

    Eine Frage an Thiemo, wer kann im Steigerwald alles an Pilzen bestimmen die ich Sammle, oder andersrum gesagt, wen muß ich meine gesammelten Pilze zeigen. Hat die Person die die Polizeigewalt hat auch das nötige wissen und nicht wie ein PSV in erster linie "Genießbar-Ungenießbar-Giftig". Habe im Steigerwald erst 1973 meine ersten Speisepilze gesammelt, damals gab es noch reichlich Pilze!

    Schöne Grüße

    Hans

  • Hallo,

    wer möchte einen "normalen" Speisepilzsammler Anzeigen?

    Eigentlich kommt nur ein Forstbeamter (der im Wald auch polizeiliche Befugnisse hat) in Frage, sofern er ausreichend mykologische Kenntnisse hat. Als PSV sehe ich mich nicht als Gesetzeshüter sondern in beratender und aufklärender Funktion und werde keine Sammler anzeigen.


    Keine Ahnung wer/ob sich in meiner Gegend Jmd. entsprechend auskennt. Das die Sachlage bei mir nicht praxisrelevant ist, hatte ich bereits im Startpost geschrieben.


    Viele Grüße,

    Thiemo

  • Hallo Wolfgang,


    ja, verstehe .... Da hast Du sicherlich dann recht, mit den zwei von Dir aufgezeigten Beispielen, die durchaus denkbar sind. Ob das Vorkommen von Arten der BArtSchV tatsächlich allerdings Auswirkungen auf Forstmaßnahmen hat, bezweifle ich stark, aber versuchen kann man es ja immerhin. Dann müsste man auch wegen Steinpilz und Trompeten-Pfifferling Waldumbau verhindern können, was natürlich weder praktikabel noch sinnvoll ist.


    Zu diesem Punkt:

    "Umgekehrt leuchtet mir folgendes nicht ein: Der Gesetzgeber schützt ein seltenes Taxon, das sich darauf als "Sammelart" erweist. Danach ist nur noch die s.str.-Art geschützt, so lange bis der Gesetzgeber seine Verordnung aktualisiert?"


    Ja, genau so sehe ich das. Der Gesetzgeber muss sein Gesetz aktualisieren. Solange das nicht passiert bezieht sich das Gesetz nur auf appendiculatus. Wäre meine Meinung. Wenn auf Radwegen, wo laut Gesetzestext nur Radfahrer, Mofas bis 25 km, E-Rollis und was weiß ich noch fahren dürfen, nun auch E-Roller fahren dürfen sollen, dann muss erst das entsprechende Gesetz textlich angepasst werden. Und wenn man nun weiß, dass es neben B. appendiculatus eine weitere sehr ähnliche Art gibt, dann muss die eben neu in die BArtSchV aufgenommen werden. Wäre meine Vorstellung - aber ich bin weder Jurist noch besonders gut im Gesetze verstehen ....


    beste Grüße,

    Andreas

  • Ja, genau so sehe ich das. Der Gesetzgeber muss sein Gesetz aktualisieren. Solange das nicht passiert bezieht sich das Gesetz nur auf appendiculatus. Wäre meine Meinung.

    Hi Andreas,


    aber genau so eine Situation hat der Gesetzgeber vorhergesehen, wollte es NICHT so regeln, und hat daher die taxonomische Referenz definiert. Zugegeben bei Pilzen mit einer schlechten Wahl, weil die Verordnung eben von guten Juristen aber schlechten Mykologen erstellt wurde.


    Wenn sonst jemand eine Sippe der Frauenschuh-Orchidee als "Cypripedium subcalceolus" neu beschreiben würde, könnte der Gesetzgeber gar nicht schnell genug die Verordnung aktualisieren, da wäre der Typus-Bestand schon komplett geräubert und die einzelnen Pflanzen im Internet versteigert. Deswegen entspräche diese Logik auch nicht meinem Rechts-Empfinden.


    Bei verschiedenem Schutzstatus von Unterarten, die sich möglicherweise nur in der Sequenz unterscheiden, wäre auch dem Betrug Tür und Tor geöffnet, denn vor der Strafanzeige (oder für den ehrlichen Händler: vor dem Verkauf) müsste man eine DNA-Analyse jedes verkauften Fruchtkörpers in die Wege leiten. Wenn das nicht mal weitaus praxisferner ist, als einfach die ganze Sammelart zu schützen.


    Bei Deiner Auslegung würde der Gesetzgeber auch komplett die Deutungshoheit über seine eigene Verordnung verlieren. Mit irgendeiner Veröffentlichung im "Chinese Journal of Obscure Species" könnte die ganze Naturschutzpraxis auf den Kopf gestellt werden. Stell Dir vor, was es für die deutsche Windkraft-Industrie bedeuten würde, wenn jemand den Rotmilan in eine andere Gattung umkombiniert und er dadurch seinen Schutzstatus verliert.


    Grüße,


    Wolfgang

  • Hallo Andreas, hallo Wolfgang und auch hallo an alle Anderen, die hier fleißigst mitlesen!


    Zuerst einmal vielen lieben Dank für die spannende Diskussion, ihr habt mir damit auf jeden Fall meinen Abend verschönert :)

    Bei den mykologischen Argumentationen kann ich euch sicher nicht das Wasser reichen, jedoch habe ich einige Dinge zum juristischen Teil eurer Arguentationen zu ergänzen:

    Sammler XY findt einen Pilz und bestimmt ihn mit einem Buch oder übers Internet als Boletus subappendiculatus. Er schaut in die BArtSchV ob diese Art geschützt ist - ist nicht aufgeführt. Immerhin liest er die Einleitung und schaut daher in die dort als taxonomische Referenz angeführte Referenzliteratur - auch dort ist die Art nicht aufgeführt. Also muss er doch davon ausgehen dass die Art nicht geschützt ist. Punkt. Nichts anderes ist juristisch relevant.

    Da muss ich ganz klar widersprechen! Wir bedienen uns in der Rechtswissenschaft dem dreistufigen Deliktsaufbau (Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld - in genau dieser Reihenfolge), das bedeutet, die subjektive Ansicht des Täters, hier der Sammler XY, ist für den rechtlichen Schutz des boletus subappendiculatus vollkommen irrelevant.

    Die Frage, ob der b. subappendiculatus ebenfalls durch Anlage 1 der BArtSchV geschützt wird, hängt weder mit der Praktikabilität, noch mit der alltäglichen Relevanz oder der Einsicht eines "Normalbürgers" zusammen.
    Im Gegenteil, die rechtliche Lage und somit der rechtliche Schutz des b. subappendiculatus wird zu Beginn festgestellt, die Frage, ob der Sammler sich in diesem konkreten Fall strafbar gemacht hat erst danach.


    Aber natürlich gibt es auch für solche Fälle eine ganz klare juristische Lösung. Insbesondere im BGB bedienen wir uns der sogenannten Analogie. Das bedeutet, sobald ein konkreter Sachverhalt nicht vollständig vom Gesetz erfasst wurde, wird eine ähnliche Vorschrift analog angewendet.

    In unserem Fall bedeutet das Folgendes: Der Schutz des b. subappendiculatus ist planwidrig gesetzlich ungeregelt, es wird also eine ähnliche Vorschrift (in diesem Fall Anlage 1 BArtSchV) gesucht, deren Rechtsfolge auch hier zum Tragen kommen kann. Hierbei muss klar berücksichtigt werden, dass die Anhängselröhrlinge zum Zeitpunkt des Erlassens des Gesetzes (2005) noch nicht grundsätzlich getrennt worden sind. Bei der Frage, ob diese Lücke des gesetzlichen Schutzes des b. subappendiculatus gewollt (dies würde bedeuten, er soll wirklich nicht geschützt werden) oder ungewollt (Analogie kann angewandt werden) muss der damalige Kenntnissstand (und auch NUR der damalige Stand) begutachtet werden.

    Da b. appendiculatus und b. subappendiculatus in dem angegebenen Werk zusammengefasst werden, ist klar davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Unterscheidung nicht treffen konnte und die Vorschrift des b. appendiculatus auch analog auf b. subappendiculatus angewandt werden kann.

    Zustimmen muss ich Dir jedoch bei der rechtlichen Bewertung des Verhalten des Sammlers XY. Natürlich ist es seine Pflicht, sich zu informieren, doch in diesem Fall unterliegt er ganz klar einem Irrtum. Er denkt, b. subappendiculatus sei nicht geschützt, obwohl er es eigentlich ist (s. oben). Ein Irrtum schließt die Strafe nicht grundsätzlich aus, vielmehr muss nun gefragt werden, ob der Irrtum für den Sammler vermeidbar gewesen wäre. Beim ersten Mal gebe ich Dir vollkommen recht, der Sammler hat sich informiert und die ganze juristische Ansicht dahinter muss er nicht erkennen; der Irrtum war also i.d.R unvermeidbar (jedoch nicht immer, das ist abhängig von den persölichen Kenntnissen des Sammlers, für einen Juristen könnte dieser Irrtum vermeidbar gewesen sein). Doch spätestens beim zweiten Mal liegt kein Irrtum mehr vor, der Sammler wusste von dem Schutz des b. subappendiculatus und muss somit auch die vollen Konsequenzen für das Sammeln tragen.


    Ich hoffe, ich konnte etwas juristische Klarheit in die Frage bringen.


    Euch allen noch einen schönen Abend und ganz liebe Grüße,


    Alina


    P.S. Vielleicht gibt es ja sogar ein BGH-Urteil dazu? Als Jurastudentin kann ich diese Sonntag kostenlos einsehen. Sollte es eins geben, melde ich mich nochmal!

  • Hallo alle zusammen!


    Eure Diskussion habe ich interessiert mitverfolgt – danke auch für das juristische Statement von Alina!

    Gerade habe ich im Web ein wenig nach seltenen Arten gestöbert und bin dabei auf folgende offizielle Rote Liste (2016) gestoßen:

    Artensuchmaschine - Rote-Liste-Zentrum Rote-Liste-Zentrum
    Die Artensuchmaschine des Rote-Liste-Zentrums informiert über den Gefährdungsstatus von rund 30.000 Tieren, Pflanzen und Pilzen in Deutschland.
    www.rote-liste-zentrum.de


    Hier einen Auszug + die Autorenliste jeweils als Screenshot:



    Da steht B. appendiculatus unter "gefährdet" und B. subappendiculatus unter "ungefährdet"...


    Viele Grüße – Rika

  • Hi.


    Als relativ junger Pilzfan, der B. appendiculatus und B. subappendiculatus von Anfang an als unterschiedliche Arten kennengelernt hat, wäre ich persönlich gar nicht auf die Idee gekommen, dass die irgendwann mal als gleiche Art angesehen wurden. Und hätte dementsprechend auch aus der BArtSchV gefolgert, dass die fehlende Aufführung von B. subappendiculatus schon irgendwie begründet sein wird. Man kann ja kaum erwarten, dass ein Laie, der sich ein aktuelles Pilzbuch kauft, in dem beide Arten aufgelistet sind die Vorgeschichte kennen würde. Damit kann ich mich jetzt nach dem Post zugegebenermaßen nicht mehr rausreden, aber vorher hätte ich mich doch arg gewundert dafür einen auf den Deckel zu bekommen (mal abgesehen davon, dass ich noch gar keine Butyriboleten gefunden habe und sie auch nicht sammeln würde wenn dem so wäre). Von daher macht die Irrtums-Regelung da schon Sinn.


    Scheinbar gibt's da übrigens auch bei Pilzsachverständigen Unklarheiten, wie soll das dann ein Laie ordentlich einschätzen können?


    Wo wir aber hier auch schon eine Juristin im Forum haben: Wenn ich als Hobby-Pilzler eine streng geschützte Art zu Bestimmungszwecken entnehme (z.B. um ein Schnittbild zu machen und) und den Fruchtkörper mit nach Hause nehme (z.B. zum Mikroskopieren), mache ich mich dann strafbar (Besitzverbot)?



    LG.

  • Da steht B. appendiculatus unter "gefährdet" und B. subappendiculatus unter "ungefährdet"...

    Hallo Rika,


    da müsste man aufpassen, ob es sich nicht vielleicht um einen statistischen Effekt handelt.


    Der Rote-Liste-Status (2016) errechnet sich aus der Häufigkeit, dem Bestandstrend (kurz- und langfristig) sowie Risikofaktoren.


    Für subappendiculatus wird die Häufigkeit mit "sehr selten" und der kurzfristige Bestandstrend mit "steigend" angegeben. Na, kein Wunder, wenn ab ca. 2008 immer mehr Kartierer dazu übergehen, subappendiculatus als eigene Art anzusehen und getrennt von appendiculatus zu kartieren. Natürlich ergeben sich statistisch daraus steigende Bestandstrends.


    Der Klimawandel wurde 2016 noch nicht als negativer Risikofaktor berücksichtigt für einen Pilz, der Bergfichtenwald als Haupt-Biotop hat.


    Gruß,


    Wolfgang

  • Wo wir aber hier auch schon eine Juristin im Forum haben: Wenn ich als Hobby-Pilzler eine streng geschützte Art zu Bestimmungszwecken entnehme (z.B. um ein Schnittbild zu machen und) und den Fruchtkörper mit nach Hause nehme (z.B. zum Mikroskopieren), mache ich mich dann strafbar (Besitzverbot)?

    Hallo PSV,


    ich will Herbsttrompete nicht vorgreifen, aber ich denke


    (2) Es ist ferner verboten, 1.Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten
    (Besitzverbote)

    ...Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann im Einzelfall für die in Satz 1 genannten Pilze weitergehende Ausnahmen von den dort genannten Verboten zulassen, solange und soweit die Erhaltung der betreffenden Arten landesweit oder in bestimmten Landesteilen nicht gefährdet ist.

    5. Ordnungswidrig handelt, wer ... eine geschützte Art ... be- oder verarbeitet und erkennt oder fahrlässig nicht erkennt, dass sich die Handlung auf ein Tier oder eine Pflanze einer in Buchstabe a genannten Art ... bezieht,

    Wenn Du keine Ausnahmegenehmigung der Landesbehörde hast, begehst Du potentiell eine Ordnungswidrigkeit (keine Straftat).


    Die Frage ist dann eher nachgelagert eine der Schuld (fahrlässig oder mit Vorsatz, liegt ein Irrtum vor und war der vermeidbar, etc.), da müsstest Du der Juristin vermutlich mehr "Futter" zu den Begleitumständen geben, denn das wird individuell entschieden.


    Gruß,


    Wolfgang

  • Hi Wolfgang,


    so hätte ich das auch vermutet. So weit ich weiß muss z.B. bei Saftlingen oft mikroskopiert werden also müsste man sich zur Bestimmung welche aneignen. Vlt. kann mir da jemand sagen wie das die Kartierer machen, habt ihr da bei euren Touren immer Ausnahmegenehmigungen für alle besonders geschützten Arten, die man makroskopisch nicht direkt ansprechen kann, in der Tasche? Bekommt man als Hobby-Pilzler einfach so eine Ausnahmegenehmigung wenn man die Pilze kartieren will? Für Sachsen gäbe es eigentlich ein schönes fertiges Formular, das aber wohl leider nicht für Pilze gilt, warum auch immer.


    Was den Schutzstatus der Butyriboleten angeht wäre es eigentlich am elegantesten das Gesetz anzupassen und Butyriboletus spp. generell unter Schutz zu stellen. Wenn da B. subappendiculatus unter die Räder kommt, obwohl sich herausstellen sollte, dass er womöglich doch recht häufig ist (soll wohl durchaus lokal auch in Massen auftreten), wäre es nach meinem Empfinden auch nicht so wild. Aber da wurde ja auch schon in der Diskussion darauf hingewiesen, dass das einen potentiellen Rundumschlag mit deutlichen negativen Konsequenzen für uns Hobby-Pilzler bedeuten könnte. Doofe Situation also irgendwie.


    Im Prinzip ziehe ich für mich aus der Diskussion, dass ich besonders geschützte Arten, die entnommen werden müssen zur Bestimmung erstmal nicht mehr kartiere. Also alle Butyriboleten, Hygrocybe (s.l.?), Albatrellus und Tuber. Die letzten beiden sind aber eh nicht relevant in meinen Gefilden. Der Rest dürfte denke ich makroskopisch am Standort bestimmbar sein.


    LG.

  • Bekommt man als Hobby-Pilzler einfach so eine Ausnahmegenehmigung wenn man die Pilze kartieren will?

    Hallo PSV,


    für etwas größere Veranstaltungen (Wiesenpilztagung, 20-30 Teilnehmer) haben wir über den NaBu Bingen schon Genehmigungen beantragt, das geht in Rheinland-Pfalz eigentlich recht problemlos, aber schon in Hessen ist das ein Alptraum. Im Allgemeinen ist es m.E. über einen Verein oder eine Uni leichter als für eine Privatperson. In Sachsen ist die AG Mykologie dafür ansprechbar, oder?


    Wenn ich alleine für mich unterwegs bin, riskiere ich das Bußgeld (in RLP ab 75 €), aber ich habe noch nie von einem solchen Fall gehört. Wer sollte Dich anzeigen? Ich hab' schon mal eine mündliche Verwarnung eingefangen, als ich in einem NSG den Weg verlassen habe, um einen unbekannten Rötling zu sammeln.


    Ob eine Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, liegt im Ermessen der Behörde. Als ich in einem Fall von massenhaftem Absammeln von Kaiserlingen das zuständige Forstamt benachrichtigt habe, habe ich nicht einmal eine Antwort erhalten.


    Wenn Du aber überlegst, die Funde sequenzieren zu lassen und/oder zu veröffentlichen, wäre eine Genehmigung in jedem Fall erforderlich.


    Grüße,


    Wolfgang

  • Hallo Alina,


    vielen Dank für Deine juristische Sichtweise dazu.

    Aber folgendes stimmt nicht:

    Hierbei muss klar berücksichtigt werden, dass die Anhängselröhrlinge zum Zeitpunkt des Erlassens des Gesetzes (2005) noch nicht grundsätzlich getrennt worden sind. Bei der Frage, ob diese Lücke des gesetzlichen Schutzes des b. subappendiculatus gewollt (dies würde bedeuten, er soll wirklich nicht geschützt werden) oder ungewollt (Analogie kann angewandt werden) muss der damalige Kenntnissstand (und auch NUR der damalige Stand) begutachtet werden.

    Da b. appendiculatus und b. subappendiculatus in dem angegebenen Werk zusammengefasst werden, ist klar davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Unterscheidung nicht treffen konnte und die Vorschrift des b. appendiculatus auch analog auf b. subappendiculatus angewandt werden kann.

    Boletus subappendiculatus wurde 1979 als eigenständig beschrieben, also lange vor dem Gesetz - und auch lange vor der Roten Liste die die BArtSchV als Referenzwerk angibt. Wenn Du also sagst, es muss der damalige Kenntnisstand berücksichtigt werden, dann kann ich daraus schließen, dass der Gesetzgeber die Unterscheidung bewusst getroffen hat und B. subappendiculatus also als (absichtlich) nicht geschützt angesehen werden muss. Jedenfalls entnehme ich das Deinen Ausführungen.

    B. appendiculatus und B. subappendiculatus werden in der Roten Liste übrigens nicht zusammengefasst, jedenfalls nicht erkennbar. Ob die Macher der Roten Liste B. subappendiculatus bewusst nicht aufgeführt haben (weil als ungefährdet angesehen) oder als Synonym zu appendiculatus gesehen haben, das ist reine Spekulation. Fakt ist, dass B. subappendiculatus nicht erwähnt wird, obwohl bereits fast 20 Jahre zuvor in einer gut zugänglichen Publikation neu beschrieben.


    beste Grüße,

    Andreas

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!