Forschungsstand Equestre Syndrom

  • Liebe Forenmitglieder,

    liebe Expertinnen und Experten,


    ich möchte mich bei Euch über den aktuellen Forschungs- und Erkenntnisstand zum Equestre-Syndrom erkundigen. Insbesondere interessiere ich mich dabei für die Frage, ob auch beliebte Speisepilze wie Boletus Edulis oder Rotkappen dieses Syndrom auslösen können. Das Internet bietet hier nur wenige und kaum kohärente Informationen.


    Man liest davon, dass das E.-Syndrom nur in Verbindung mit bestimmten Medikamenten auftritt. Man liest von Schwarztäublingen als Auslöser. Man liest von erhöhten Keratinasewerten im Blut nach Boletus Verzehr, aber von histologisch unauffälliger Muskulatur. Ich komme leider nicht mehr mit, möchte aber genau verstehen, was aktueller Stand ist.


    Danke und viele Grüße

    Compris

  • Hallo Compris,

    jetzt hatte ich gerade etwas vorbereitet und abgeschickt, aber beim Editieren ist der Anfang "verschwunden" ...

    muss ich wohl noch mal machen.


    VG

    abeja

    ... P I L Z E ... können unterirdisch, "unterirdisch", oberirdisch oder "überirdisch" sein.  :S 




  • Hallo Compris,

    ob es ganz aktuelle Forschung gibt, weiß ich nicht.

    Man könnte noch einmal mit englischen Stichworten bei researchgate oder pubmed suchen.

    Vielleicht nimmt auch noch ein Wissender, der näher am Geschehen ist, dazu Stellung.


    Hast du das Buch "Giftpilze" von FLAMMER (Ausgabe 2014)?

    Darin ist auch das Equestre-Syndrom und deine Fragestellungen könnten beantwortet werden. Es gibt auch Literaturhinweise zu den Studien (hinten im Buch gelistet). Man findet aber auf die Schnelle nur Abstracts, die kompletten Texte wären käuflich zu erwerben.

    Manchmal gibt es aber auch "Sammlungen" im Web, wo sie trotzdem frei einsehbar sind....


    Wodurch die Rhabdomyelose beim Verzehr von Tricholoma equestre verursacht wird, ist weiterhin unbekannt ("unbekanntes Myolysin")

    Die Werte der Kreatinkinase sind ein Indikator für die Schwere der Vergiftungen.


    Bei den Todesfällen in Frankreich (nach wiederholtem, mengenmäßig großem Verzehr) waren die Werte extrem erhöht. Bei nicht tödlichen Fällen in Polen waren die Werte erhöht, aber doch deutlich niedriger.


    Es gab dann in Polen Versuche mit Freiwilligen (mehrfacher Verzehr von Grünlingen), von 56 Personen hatten nur 2 Personen erhöhte Werte und das waren Personen, die Medikamente zur Blutfettreduzierung einnahmen.

    Enzymatic examination of potential interaction between statins or fibrates and consumed Tricholoma equestre


    Zwei andere Versuchsreihen arbeiteten mit Mäusen (und menschlichen Freiwilligen), man verfütterte pulverisierte Grünlinge, unterschiedliche Mengen pro kg Körpergewicht unterschiedlich lange. Man konnte erhöhte Kreatinkinasewerte feststellen.

    Dies konnte aber auch mit anderen ganz normalen Speisepilze wie Rotkappen, Steinpilzen, Schafporlingen, Eierschwämmen und einigen Täublingen festgestellt werden.


    Hier der Vergleich mit Boletus edulis (Kreatinkinasewerte waren etwas erhöht, aber weniger als beim Grünling, gefährlich würde es - vielleicht - bei extremstem kiloweisen Verzehr über mehrere Tage.)

    Increased plasma creatine kinase activities triggered by edible wild mushrooms

    Hier waren weitere Speisepilze dabei

    Suspected Myotoxicity of Edible Wild Mushrooms


    Hier ein komplett frei erhältlicher Text zum Thema (von 2020, Nieminen, Mustonen - das waren u.a. auch die Autoren der beiden anderen Studien):

    Toxic Potential of Traditionally Consumed Mushroom Species-A Controversial Continuum with Many Unanswered Questions



    Russula subnigricans (nicht R. nigricans!, R. subnigricans kommt nur in Asien vor) kann auch Rhabdomyelose auslösen, ruft aber noch weitere Symptome hervor. Der verdächtige Giftstoff wird in diesem Text von 2016 genannt (und auch im FLAMMER).

    Kann sein, dass für manche dadurch auch die europ. Schwärztäublingen mehr oder weniger verdächtig sind, aber der genannte Stoff kommt da wohl nicht vor. (Ich habe schon milde Schwärztäublinge gegessen, das sind aber sowieso nur kleine Mengen.)

    A Case of Mushroom Poisoning with Russula subnigricans: Development of Rhabdomyolysis, Acute Kidney Injury, Cardiogenic Shock, and Death

    "The possible cause of rhabdomyolysis after ingestion of the mushroom may be the mushroom toxin, such as cycloprop-2-ene carboxylic acid, isolated from R. subnigricans. This compound may be responsible for fatal rhabdomyolysis as a toxic trigger for some biochemical reactions."


    Im Hinterkopf sollte man dann auch die Empfehlung der DGfM haben, von Wildpilzen nur ca. 250 gr. pro Woche zu essen, weil eben viele Inhaltsstoffe unbekannt sind. Es kann natürlich sein, dass viele Pilzliebhaber in der Saison deutlich darüber liegen, aber zumindest sollte man von keiner einzelnen Art (pervers) große Mengen an mehreren Tagen hintereinander essen. Damit müsste man - bis auf individuelle Unverträglichkeiten - erfahrungsgemäß auf der sicheren Seite sein.


    VG

    abeja

    ... P I L Z E ... können unterirdisch, "unterirdisch", oberirdisch oder "überirdisch" sein.  :S 




    Einmal editiert, zuletzt von abeja ()

  • Hallo Compris,


    die auf unserer Homepage verlinkten Paper zum Pilz des Jahres 2021 bilden den aktuellen Forschungsstand zum Thema ab.


    Pilz des Jahres 2021: Grünling
    Der Grünling bewohnt vor allem sandige Kiefernwälder. Einst Speisepilz gilt er heute als giftig, weil er mehrere Todesfälle verursachte.
    www.dgfm-ev.de


    Es bleiben nach wie vor viele Fragen unbeantwortet.


    Beste Grüße

    Stefan F.

  • Hallo,


    jetzt habe ich die beiden oben genannte Dokumente näher angeschaut, wo es auch um die anderen Speisepilze ging.

    Aus den Abstracts wird nämlich nicht 100-proz. klar, in welcher Weise die Pilze verabreicht wurden.


    In den Studien mit Mäusen wurden getrocknete Pilze (bei wie viel Grad bleibt unklar, an einer Textstelle wurden 60 Grad erwähnt. Im ersten Versuch war das Trockengewicht knapp 15 Proz. vom Frischgewicht) pulverisiert, in einem Experiment wurden zusätzlich frisch gefrorene Grünlinge pulverisiert.

    Übliches Mäusefutter in Pellets wurde in Wasser eingeweicht, das Pilzpulver eingemengt, dann erneut Pellets geformt und getrocknet.

    Vergleichsgruppen bekamen unveränderte Pellets und Pellets mit p-phenylenediamine versetzt. Das ist eine Substanz, die bekanntermaßen bei Mäusen Rhabdomyelose auslösen kann.


    So wurde mit allen Pilze gleichermaßen vorgegangen, d.h. in diesem Versuchsaufbau sind alle Pilze als "nicht gegart" zu betrachten.

    Vermutlich geht man dadurch von einer ausreichenden Vergleichbarkeit aus - obwohl natürlich das Equestre-Syndrom beim Menschen bei gegarten Pilze vorkam.

    Wenn ein Vorgang (die CK-Erhöhung) bei einer Pilzart sowohl von gegarten Pilzen als auch ungegarten Pilzen ausgelöst werden kann, wird scheinbar vermutet, dass das bei anderen Pilzarten auch so ist, obwohl man ja die auslösende Substanz noch gar nicht kennt. Beim Grünling scheint der Auslöser aber hitzestabil zu sein.

    Die Frage ist natürlich auch, ob es nicht mehrere/ sehr unterschiedliche Auslöser für eine CK-Erhöhung bei verschiedenen Pilzarten geben könnte.

    Insofern verwundert mich diese Vorgehensweise etwas. Die Studien hätten meiner Meinung mehr Aussagekraft, wenn man noch zusätzliche Versuche mit erhitzen Pilzen gemacht hätte.


    Compris: von den Links oben "erschlagen" geworden ;)? Oder hat es etwas mehr Klarheit gebracht?


    Hallo Wolfgang,

    Steinpilze gehören ja eigentlich auch zu den Arten, wo ein Rohverzehr (in Maßen) möglich ist?

    Falls Pilze roh unverträglich sind, dann geht es doch meistens um die Verdauung und schwerwiegender um Hämolyse. Ich denke, Rhabdomyelose ist da doch noch ein ganz anderer Vorgang.

    Es gibt aber tatsächlich einen Bericht aus Polen von 2013, wo ein 57-jähriger Mann mit Rhabdomyelose-Symptomen (und erhöhten CK-Werten) im Krankenhaus aufgenommen wurde (hat sich erholt), nach ausgiebiger, mehrfacher "Völlerei" mit gegartem Boletus und Leccinum spec.

    Rhabdomyolysis as an unspecyfic symptom of mushroom poisoning--a case report


    VG

    abeja

    ... P I L Z E ... können unterirdisch, "unterirdisch", oberirdisch oder "überirdisch" sein.  :S 




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